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Frühling für Hitler?

aus DER SPIEGEL 36/1990

Die »Juden und die Linken« hätten in einer »unseligen Allianz« die Kultur in der Bundesrepublik beherrscht. Das Ergebnis: »eine unheilige Allianz für eine Kunst ohne Volk oder billiger, bequemer, schneller Wegwerfwaren wie Punk, Pop oder Junk«. Ein Zusammenwirken von »alles kulturelle Leben lähmenden Lügen« und einer »jüdisch linken Ästhetik« habe nach 1945 dafür gesorgt, daß »die Schuld zum phantasietötenden Geschäft werden konnte«. Damit müsse jetzt Schluß sein. Ein Umsturz der Werte sei fällig. Statt Sozialismus und Kapitalismus sollte es jetzt wieder »Heimat, Reich, Nation, Provinzen, Deutschland« heißen. Vielleicht sollte man »Hitler neu bedenken«.

»Die Politik hat es besser«, weil »alle kommunistischen Parteien Osteuropas« inzwischen ihren Namen »mit Scham« abgelegt hätten. Aber: »Die Kultur, abseits, schlüpft durch, ohne Interesse und die Situation der Kulturlosigkeit bezeichnend«.

Solcher und ähnlicher Stuß steht nicht etwa in einem kulturpolitischen Pamphlet der Reps oder noch radikalerer Neonazis, sondern stammt von Hans Jürgen Syberberg, aus seinem neuen Buch »Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege«.

Das Buch, dessen Lektüre schon durch Syberbergs schwammiges Pathos die Leidensfähigkeit des Lesers auf eine schier unbestehbar harte Probe stellt, löst die Verheißungen seines Titels auf folgende Weise ein: »Vom Unglück": Die Juden sind unser Unglück. »Vom Glück": Syberberg ist unser Glück. Daran, daß wir das Glück nicht merken, das wir an Syberberg haben, sind wieder, na klar, die Linken und Juden schuld.

Syberberg weiß sich im Ausland besser verstanden: Seine »Arbeiten wurden, trotz allem unerwünschten Ja und des häuslichen Nein in Deutschland, von Paris bis New York als das Eigentliche aus Deutschland, und das in der geschundensten Kunst des Jahrhunderts, dem Film, erkannt und beschrieben«.

Hier wird die Motivation für das Buch sichtbar. Syberberg empfindet sich als das verkannte Genie, das, weil ihm die Anerkennung in entscheidenden Jahren nicht in dem Maße zuteil wurde, die er in wahnhafter Maßlosigkeit für gebührend hält, eine jüdisch linke Weltverschwörung konstruiert: So sah sich Hitler, der stümpernde Kunstmaler, in Wien von Juden umzingelt. So sieht sich Syberberg verdrängt.

Man müßte über den 54jährigen Filmemacher abseitiger Exerzitien, der in den letzten Jahren einen gewissen Theatererfolg der Tatsache verdankt, daß eine so außerordentliche Schauspielerin wie Edith Clever sich ihre Rezitationsabende von ihm einrichten ließ, kein Wort verlieren, wäre sein Buch bei einem obskuren Nazi-Verlag erschienen und wäre das rechte Stammtischgebrabbel Syberbergs erster Ausfall dieser Art.

Der Verlag ist der angesehene Matthes & Seitz Verlag, und der Verleger hat wohl den Text nicht ungelesen in Satz gegeben, vielmehr sei er »erschrocken« gewesen, jedenfalls sollte der Autor auf des Verlegers Wunsch etwas Begütigendes einfügen: »Ich bin für Thomas Bernhard ohne Einschränkung.«

Auch Freunde, denen Syberberg das Manuskript zu lesen gab, »raten zu einem offenen und klaren Bekenntnis zu H. als Massenmörder und daß alles falsch sei von Grund auf in Geschichte und Kunst, was er je getan oder veranlaßt« hat.

Natürlich fällt ihm so was zu Hitler nicht ein. Mit einem aufseufzenden »Also denn« bequemt er sich zu der Feststellung: »Ich halte ihn (Hitler) für ein genialisches Medium des Weltgeistes, in einem dämonischen Interesse dieses technischen Jahrhunderts der Massenbewegungen.« Auschwitz als Seance des Weltgeistes, der sich dazu ein Genie als Medium aussuchte - grausiger kann man kaum verrückt sein.

Doch für diejenigen, die Hitler als weniger genialisch empfinden, hat Syberberg auch eine Antwort parat. Er dreht den Spieß einfach um: »H. wäre ohne Demokratie nicht an die Macht gekommen, und Auschwitz ist ihr Preis . . .« Auf gut deutsch heißt das: Der Ermordete ist selber schuld. Vergewaltiger argumentieren so: Das Opfer sei so aufreizend gewesen. Mit einem längeren Rock wäre das nicht passiert. Hitler fühlte sich von der Demokratie ähnlich gereizt. Mit dem Rock des Kaisers wäre das nicht passiert.

Daß der Verleger erschrickt, daß Freunde dem Nazi zu einem antifaschistischen Vorwort raten - bewirkt hat es nichts: Syberberg schreibt vom »Mafia-System der demokratischen Lebenslüge«, er weiß: »Wer mit den Juden ging wie mit den Linken, machte Karriere«, er weiß, daß Adorno, Bloch, Benjamin, Kracauer, Marcuse für eine verkrüppelte Kunst gesorgt hätten: »den Krüppel für die Kunst und für die Werbung den Helden«.

Mit solchen Sätzen, mit solchen Gedanken, mit solchen dumpfen Verschwörungstheorien ist, man erinnere sich, die Bücherverbrennung von 1933, ist die »Endlösung« von 1942 vorbereitet und ermöglicht worden. Was die Sätze heute noch schlimmer macht als damals: Man weiß heute, daß Blut an ihnen klebt, man muß wissen, wohin sie geführt haben. Sie sind kein abstruses Geschwätz, sie sind verbrecherisch.

Wenn das Wort vom (dank der Gnade der späten Geburt zu spät gekommenen) Schreibtischtäter Sinn macht, dann hier. Er mag das mit dem Schwulst und der nebulösen Sprache verschleiern wollen, die ihm unterläuft. Manchmal verrät den schrecklichen Deutschen das Deutsch, das er nicht beherrscht, wenn er (wie bereits zitiert) schreibt, Freunde hätten ihm »zu einem offenen und klaren Bekenntnis zu H. als Massenmörder« geraten. In der Tat: Syberberg bekennt sich, wenn auch nur aufgrund eines mißratenen Satzes, zu Hitler als Massenmörder.

Dazu allerdings hätte es des neuen Buches nicht bedurft. Schon in seinem Gespräch mit Andre Müller, das die Zeit im September 1988 ungerührt und unkommentiert veröffentlichte, hatte er gesagt, daß Hitler im Unterschied zu den Demokraten wenigstens leidensfähig gewesen sei: »Ich möchte behaupten, daß das Böse heute viel schlimmer ist, weil ihm die Leidensfähigkeit abgeht.« Dagegen »jemand«, der, wie Hitler, »Wagner erfassen kann, muß wissen, was Leiden bedeutet . . . Hitler und seine Leute wollten wenigstens etwas. Heute sehe ich so viele, die nichts mehr wollen«.

Was Syberberg 1988 immer noch wollte, war beispielsweise ein Krieg: »Die Vertreibung der Deutschen aus den heute polnischen Ostgebieten war etwas, wofür man eigentlich hätte in den Krieg gehen müssen. Es gibt Ungerechtigkeiten, die man anders nicht lösen kann.«

In diesem Interview stehen die ungeheuerlichsten Sätze, die jemand nach Himmler zu Auschwitz gesagt hat - ja, es sind Sätze, die für Nazis und Eingeweihte den Anklang an Himmlers Rede auf der SS-Gruppenführertagung am 4. Oktober 1943 in Posen suchen. Himmler: _____« Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung » _____« des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man » _____« leicht ausspricht. - »Das jüdische Volk wird » _____« ausgerottet«, sagt ein jeder Parteigenosse, »ganz klar, » _____« steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, » _____« Ausrottung, machen wir.« Und dann kommen sie alle an, die » _____« braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen » _____« anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind » _____« Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, » _____« die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es » _____« durchgestanden. Von euch werden die meisten wissen, was » _____« es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 da » _____« liegen oder wenn 1000 da liegen. Dies durchgehalten zu » _____« haben und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher » _____« Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart » _____« gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals » _____« zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte . . . »

Und nun Syberbergs Echo. Er hat, wie er Andre Müller gesteht, die »Konflikte« und die »Selbstüberwindung« der Nazis noch einmal durchlebt. Auf die Zwischenfrage Andre Müllers, ob denn die Selbstüberwindung und die Konflikte der Nazis so groß gewesen seien, gibt Syberberg folgenden Satz von sich: »Anfangs schon, denn man mußte, um ein Prinzip zu erfüllen, seinen, wie man sagt, inneren Schweinehund überwinden. Man durfte nicht weich werden an der Rampe in Auschwitz.« Wieder fragt Müller entgeistert: »Bewundern Sie das?« Und Syberberg antwortet: »Nein, aber ich kann beides verstehen, sowohl daß man gegen Prinzipien verstößt, um sozusagen menschlich zu handeln, als auch daß man sagt, das Beschlossene muß durchgeführt werden.«

Als ich diese Sätze damals las, war ich wie erstarrt. Als die Zeit später eine »Entgegnung« Syberbergs veröffentlichte, hatte ich gehofft, er würde diese fürchterlichen Sätze zumindest widerrufen, falls er sie wirklich gesagt haben sollte.

Aber nein. Was er richtiggestellt haben wollte, waren ein paar Bemerkungen, die er über Peter Stein gemacht hatte. Hier wurde der Maulheld feige und faselte was von Hochachtung, die Andre Müller unterschlagen habe.

Ich muß gestehen, ich habe von diesem Moment an gehofft, für Syberberg gehofft, daß er schlicht und einfach verrückt ist. Ein Mann mit einer grausigeren Macke als diejenigen Kranken, die sich für Napoleon oder Beethoven halten. Ein Hitler für eine geschlossene Anstalt.

Aber jetzt, angesichts der Buchveröffentlichung und der darauffolgenden Rezensionen: Was soll man von einem Verleger halten, der zwar »erschrocken« ist, dann aber ungeniert das braune Zeug auf den Markt wirft? Gibt es vor diesem antisemitischen Gefasel keine Hemmschwelle mehr?

Und muß der Wiener Publizist Günther Nenning vor diesem Künstler, der »so ärgerlich tiefsinnig und so wunderbar platt« ist, in seiner Zeit-Rezension in die Knie gehen - nur aus Angst, er könnte sonst den neuesten Zug im Kulturfahrplan verpassen? Und als alter Depp und Spaßverderber gelten? Und was soll man angesichts einer Rezension des Wiener Kulturhallodris Andre Heller sagen, der in der Münchner Abendzeitung Syberberg als »einen der originellsten und radikalsten Nomaden in jener kalten Wüste, als die man das deutsche Klima bezeichnen könnte«, feiert?

Andre Heller, der bedauert, daß in der Gegenwart kein Karl Kraus und kein Kurt Tucholsky da sei, um »unsere heutigen Denkstotterer mit einem Nebensatz aus dem Tempel der Sprache« zu jagen, sollte vielleicht für einen Augenblick die Mühe des Nachdenkens auf sich nehmen, um zu erkennen, daß Tucholsky ähnliche Sätze mit dem Leben bezahlt hat, wie sie Syberberg heute immer noch von der jüdisch-linken »Umweltverschmutzung der Seele« äußert.

Syberberg, ein »engagierter Antifaschist«? Bestenfalls ein ewiger Hitler-Junge, der sich idealistisch einen netten, sauberen Faschismus wünscht - umweltfreundlich, heimatverbunden und mit einem anständigen, weil prinzipientreuen Antisemitismus. Ausrottung ja, aber ohne inneren Schweinehund.

Es ist klar, warum Andre Heller, der sich für unsere kleine Gegenwart auch zu groß vorkommt, Syberberg zum Rufer in der Wüste stilisiert: Auch er ist ja eines der verkannteren Genies. Und wenn er nach Karl Kraus ruft, dann in dem sicheren Gefühl, daß bisher niemand als Wiedergänger aus dem Jenseits zurückgekommen ist, nur um dem Rufer dessen poetischen und politischen Tinnef um die Ohren zu hauen.

Hellmuth Karasek
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